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„Täterarbeit als Opferschutz“

Interview mit Klaus Weth, Leiter der neuen Sexualstraftäterambulanz – Diözesan-Caritasverband Würzburg eröffnet Einrichtung

Würzburg (POW) Anfang Januar 2011 hat die psychotherapeutische Fachambulanz der Caritas in Würzburg ihre Arbeit aufgenommen. Am 14. Februar eröffnet die bayerische Justizministerin Dr. Beate Merk im Würzburger Caritashaus offiziell die Ambulanz. Neben Einrichtungen in München und Nürnberg ist die Würzburger Stelle die dritte ihrer Art in Bayern. Die Leitung übernimmt der 44-jährige Diplom-Psychologe Klaus Weth, der zehn Jahre Berufserfahrung in den psychiatrischen Krankenhäusern von Werneck und Lohr hat. Sieben Jahre davon beschäftigte er sich im Bereich der Forensischen Psychiatrie mit der Behandlung von Sexualstraftätern. Der gebürtige Heidenfelder, der auch als Gutachter vor Gericht auftritt, arbeitete zuletzt in leitender Funktion in der Jugend- und Drogenberatung der Stadt Würzburg. Die neue Fachambulanz ist mit zwei Psychologen besetzt. Finanziert wird sie – vorerst auf drei Jahre – durch das Bayerische Justizministerium.

POW: Herr Weth, steht die Gründung dieser Ambulanz in Zusammenhang mit den vielen Missbrauchsskandalen, die in jüngster Zeit aufgedeckt worden sind?

Klaus Weth: Nein. Das Projekt wurde durch das Bayerische Justizministerium zur Verbesserung der Sicherheit der Bevölkerung eingerichtet und ist im Kontext der schon bestehenden Einrichtungen in München und Nürnberg langfristig geplant worden. Der Caritasverband der Diözese Würzburg hat den Mut, sich diesem schwierigen Aufbau zu stellen und Sexualstraftäter nach ihrer Entlassung bei einem rückfallfreien Leben zu unterstützen.

POW: Wie arbeitet eine Sexualstraftäterambulanz?

Weth: Wir bieten einzel- und gruppentherapeutische Gespräche an, führen psychologische Testungen und Prognoseverfahren durch und tauschen uns mit Gerichten, Staatsanwaltschaften, der Bewährungshilfe und anderen Beratungsstrukturen aus. Im Mittelpunkt stehen Sexualdelikte und die Verhinderung weiterer Straftaten. Täterarbeit verstehen wir als Opferschutz.

POW: Gibt es ein Typmuster für einen klassischen Sexualstraftäter oder kommen die Täter aus allen Schichten und Gesellschaftsgruppen?

Weth: Es gibt keinen klassischen Sexualstraftäter oder eine typische Schicht- beziehungsweise Gesellschaftszugehörigkeit. Die Lebensschicksale der Täter sind individuell und müssen auch entsprechend erarbeitet werden.

POW: Wer wird hier behandelt?

Weth: Personen jeglichen Alters, die eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung anderer Menschen begangen haben. Das sind primär Sexualstraftäter, die unter Bewährung oder Führungsaufsicht stehen, das heißt, aus dem Justizvollzug entlassen wurden. Daneben betreuen wir auch Personen, die noch kein Delikt begangen haben, sich jedoch melden, weil sie sich für gefährdet halten.

POW: Wie sieht eine Behandlung aus?

Weth: Im Mittelpunkt stehen die Rückfallprävention und die Gewährleistung, dass keine weitere Straftat begangen wird. In mittelschweren Fällen dauert die Behandlung ein bis zwei Jahre bei einmal wöchentlich stattfindenden einzeltherapeutischen Gesprächen. Langfristig planen wir auch gruppentherapeutische Angebote.

POW: Sie haben zehn Jahre Therapieerfahrung mit Sexualstraftätern. Hat sich in dieser Zeit etwas in ihrer Behandlung geändert?

Weth: Wir hinterfragen ständig unsere Behandlungsmethoden und entwickeln sie weiter. Besonders wichtig dabei ist es, sich selbst zu hinterfragen, was der jeweilige Proband in einem selbst auslöst und welche Seiten ich am Probanden eventuell zu wenig sehe, da ich selbst hierbei „blinde Flecken“ habe. Daher ist es wichtig, in einem guten Team zu arbeiten beziehungsweise unter Supervision zu stehen, um seine eigenen Verhaltens- und Entscheidungsroutinen zu hinterfragen. Die größte Veränderung in der Behandlung ist es, den Probanden immer direkter in seinem emotionalen Erleben abzufragen, da so die schnellsten und langfristig stabilsten Verhaltensveränderungen zu erreichen sind.

POW: Kommen Ihre Probanden freiwillig oder werden sie geschickt?

Weth: Die meisten kommen aufgrund gerichtlicher Weisungen oder Bewährungsauflagen. Psychotherapeutische Behandlung kann aber nur freiwillig erfolgen, niemand kann gegen seinen Willen verändert werden. Wir müssen bei den Probanden eine Veränderungs- oder Behandlungsmotivation aufbauen beziehungsweise überprüfen, ob eine vorliegt. Fehlt sie, melden wir das der Bewährungshilfe.

POW: Dürfen Sie mit Ihrem Wissen das Umfeld der Person warnen oder benachrichtigen?

Weth: Sofern unsere Probanden nicht unter Führungsaufsicht stehen, unterliegen wir der Schweigepflicht. Nur wenn sie uns davon entbinden, dürfen wir einer individuell zu bestimmenden Person Auskünfte erteilen. Anders ist es, wenn eine Straftat bevorsteht oder verhindert werden könnte. Dann müssen wir Polizei und Staatsanwaltschaft unterrichten.

POW: Was halten Sie von der öffentlichen Brandmarkung von Sexualstraftätern?

Weth: Das ist eine Vorverurteilung von Menschen, die nur Feindbilder pflegt und vernünftige Lösungen verhindert. Weitere Straftaten werden so nicht verhindert. In Bayern führt die Polizei eine Datei über Sexualstraftäter und legt entsprechend dem Rückfallrisiko Überwachungsmaßnahmen fest. Das ist eine vernünftige Lösung, um rückfallgefährdete Straftäter zu kontrollieren.

POW: Wie entsteht das Verhalten von Sexualstraftätern?

Weth: Die psychischen Strukturen von Sexualstraftätern sind sehr komplex und unter anderem abhängig von der Störung ihrer Sexualpräferenz, beispielsweise ob sie zu Exhibitionismus oder Pädophilie neigen, und dem begangenen Delikt, zum Beispiel einer Vergewaltigung, sexuellen Nötigung oder dem Besitz kinderpornographischen Materials. Anhand von Gerichtsurteilen, Gutachten, Ermittlungsakten, psychologischen Testungen und umfangreichen anamnestischen Datenerhebungen versuchen wir, uns ein umfassendes Bild über jeden Probanden zu bilden und eine mögliche Rückfallgefährdung zu bestimmen.

POW: Kann man solche Menschen dauerhaft therapieren oder ihre Triebe nur unterdrücken?

Weth: Von einer Heilung ist nicht auszugehen. Unsere Probanden können aber lernen, ihre sexuellen Phantasien und Impulse zu kontrollieren und ihre Heftigkeit zu verringern. Sexualstraftäter umgehen mit ihrer Sexualität oft eigentliche Lebensprobleme wie zum Beispiel eigene frühere Gewalterfahrungen, Traumatisierungen, narzisstische Anteile, abgespaltene Affekte von Wut, Einsamkeit oder Leere. Das ist ihnen meist nicht bewusst.

POW: Ist eine Erfolgskontrolle Ihrer Arbeit möglich?

Weth: Wir tun alles in unseren Kräften Stehende, um eine weitere Straftat zu verhindern. Die Evaluation und wissenschaftliche Begleitung des Projektes erfolgt durch die Psychiatrische Uniklinik München und geht von dort zum Bayerischen Justizministerium. Der größte Erfolg ist natürlich die Rückfallfreiheit unserer Probanden und die Verbesserung deren psychischer und sozialer Lebenssituation.

POW: Warum war es so schwer, für diese Fachambulanz geeignetes Personal zu finden?

Weth: Es gibt nicht viele Psychologen, die sich für dieses Arbeitsgebiet spezialisiert haben. Die meisten von ihnen arbeiten im staatlichen Umfeld, zum Beispiel in Justizvollzugsanstalten. Es erfordert Mut, im Rahmen einer ambulanten Struktur Entscheidungen zu treffen und Behandlungen durchzuführen, da man in seiner Gefährlichkeitseinschätzung auf eine unmittelbare Risikosituation erst einmal alleine und sofort entscheiden muss.

POW: Brauchen wir mehr solche Stellen in Bayern?

Weth: Die Strukturen für die Täterarbeit befinden sich weiter im Aufbau, um einen weiteren Schutz der Bevölkerung zu ermöglichen. Neben den drei Fachambulanzen sind im Rahmen des Maßregelvollzugs unter Federführungen des Bayerischen Familienministeriums auch an den forensischen Kliniken Fachambulanzen entstanden. Außerdem können sich innerhalb des Projektes „kein-taeter-werden-bayern.de“ der Universität Regensburg auch tatgeneigte Personen in Bayern Hilfe holen. Aber im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung geht die Zahl der Sexualdelikte seit vielen Jahren zurück.

Kontakt: Fachambulanz für Sexualstraftäter, Telefon 0931/38666550, Fax 0931/38666599, E-Mail fachambulanz@caritas-wuerzburg.de.

(0711/0183; E-Mail voraus)

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